ZIDline
GAUSSIAN 03 - Das Chemielabor im Computer
Ernst Horkel und Hannes Mikula
ehorkel@ioc.tuwien.ac.at
Dem interessierten User stehen seit geraumer Zeit auf den Applikationsservern fp98.zserv (SGI Origin 2000) und phoenix.zserv (Sun Cluster) eines der leistungsfähigsten Software-Pakete zur Berechnung elektronischer Strukturen von Molekülen zur Verfügung – Gaussian 03. Dieser Artikel skizziert anhand eines Fallbeispiels das Anwendungspotential dieses Werkzeugs.

Quantenchemie leicht verständlich

Die Quantenchemie ermöglicht über berechnete elektronische Eigenschaften von Molekülen eine Aussage über gewisse Parameter der Verbindung zu treffen. Dazu zählen unter anderem Elektronendichteverteilung, Dipolmoment, Orbitalbesetzungen, Frequenzen elektromagnetischer Spektren (insbesondere IR und NMR) etc., siehe Abb.1.

Von speziellem Interesse ist jedoch die Möglichkeit, geometrisch optimierte Strukturen rechnerisch zu ermitteln, deren Energieinhalt minimal ist und daher die thermodynamisch wahrscheinlichste reale Anordnung vorliegt.

Soweit die guten Neuigkeiten. Nun zu den schlechten. Eine exakte Bestimmung der oben genannten Parameter setzt eine exakte Lösung der Schrödinger Gleichung voraus, dies ist allerdings nur für wenige Systeme möglich. Eine theoretische Begründung würde den Rahmen des Artikels sprengen, ebenso wie eine detaillierte Erläuterung aller der statt dessen verwendeten iterativen Näherungsverfahren (Kraftfeldoptimierung, Self Consisting Field sowie Dichtefunktionaltheorie).

Die zu den ab-initio Methoden zählende Dichtefunktionaltheorie (DFT) modelliert Atom- und Molekülorbitale über Elektronendichteverteilungen. Durch iterative Berechnungen kann nach Erreichen eines Konvergenzkriteriums unter anderem die Energie des Moleküls erhalten werden.

 

Die chemische Reaktion

Wir betrachten nun eine chemische Reaktion der Form

Per Definition errechnet sich die bei dieser Reaktion umgesetzte Energie zu

Eine Reaktion wird somit in erster Näherung (vgl. Anmerkung) dann in die angegebene Richtung ablaufen, wenn ?E negativ ist, was dem Streben zur Seite der geringsten Energie entsprechen würde. Noch allgemeiner (und natürlich unpräziser) ist somit die Aussage „die Reaktion läuft mit höherer Wahrscheinlichkeit in die angegebene Richtung, je kleiner ?E ist“.

Anmerkung: Genau genommen läuft eine chemische Reaktion dann freiwillig ab, wenn die freie Enthalpie negativ ist.

Theorie und Praxis

Die Fragestellung des laufenden Projekts war nun folgende: „Ist es alleine durch die Berechnung der optimalen Geometrie und damit der Energieinhalte der an der Reaktion beteiligten Strukturen möglich, eine Aussage über Erfolg oder Misserfolg der Reaktion zu treffen?“ Zur Modellierung der Fragestellung wurde eine Gruppe an Ringschlussmetathesereaktionen (RCM) [1] herangezogen, die im Zuge von Arbeiten am Institut durchgeführt wurden und deren (realer) experimenteller Ausgang daher bekannt ist.

Es wurden sowohl für alle Ausgangs- als auch für die jeweils zwei denkbaren Endverbindungen mittels DFT-Berechnung eine geometrieoptimierte Struktur berechnet. Als Software kam Gaussian 03 [2] unter Verwendung des Beckes Drei-Parameter / Lee-Young-Parr Hybridfunktional (B3LYP) zum Einsatz, als Basissatz wurde für alle Berechnungen 6-31g** gewählt. Sämtliche Berechnungen wurden auf dem SGI Origin 2000 Applikationsserver (fp98) des ZID der Technischen Universität Wien durchgeführt.

Aus den erhaltenen Energiewerten wurde für jede Reaktion ?E für das jeweilige thermodynamisch günstigere Endprodukt errechnet. Die erhaltenen Ergebnisse sind in  Abb.3 schematisch (ähnlich eines Box-Plots) dargestellt.

Ein Unterschied zwischen den Gruppen ist deutlich zu erkennen. Ein nicht parametrischer statistischer Test weist einen signifikanten Unterschied mit einer Wahrscheinlichkeit von über 99 % auf. Der Übergangsbereich zwischen den beiden Gruppen erscheint relativ schmal und erlaubt die Abschätzung eines Grenzwertes von ungefähr 40 – 45 kJ/mol. Eine Vorhersage über den Erfolg bzw. den Misserfolg zukünftiger Reaktionen (zumindest für ähnliche Strukturen) erscheint daher durch die angegebene Vorgehensweise möglich.

Quo vadis?

Die bis jetzt erhaltenen Ergebnisse sind in höchstem Maße viel versprechend. Es erstaunt einigermaßen, dass die simple Berechnung der Reaktionsenergie dazu reicht, die Erfolgschancen ähnlich gearteter RCM-Reaktionen abschätzen zu können. Eine exaktere (und auch wissenschaftlich korrektere) Vorhersage erfordert zwingend die Berechnung der freien Reaktionsenthalpien. Auf diese wurde bis dato wegen des exorbitant hohen Rechenaufwands verzichtet. Erfreulicherweise wurde mit Mitte Oktober der Betrieb von Gaussian 03 auf einem deutlich schnelleren Applikationsserver (Sun Cluster, phoenix. zserv) aufgenommen. Es ist daher geplant, diese Berechnungen anzuschließen sowie die Diversität der betrachteten RCM-Reaktionen zu erhöhen.

Literatur

[1]       Schuster, Matthias; Blechert, Siegfried; Chem. Unserer Zeit 2001, 35(1), 24-29

[2]       Gaussian Inc., http://www.gaussian.com/