TU Wien | ZID | ZIDline 8 | Jenseits von Word und diesseits von TeX

Jenseits von Word und diesseits von TeX

Gerhard Hanappi
Institut für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik, TU Wien
hanappi@pop.tuwien.ac.at

Der Produktionsprozess wissenschaftlicher Artikel unterlag im Zuge der Ausbreitung und Weiterentwicklung von Textverarbeitungssystemen einem tiefgreifenden Wandel. So kritzeln manche alt gebliebene Gelehrte ihre ersten Entwürfe künftiger Artikel immer noch mit Bleistift auf kleine Zettelchen, die dann (nach teilweisem Verlorengehen und Mischen) an Mitarbeiter weitergegeben werden, die den genialen Entwurf ohne Kenntnis seines Inhalts in maschinenlesbare Form bringen. Andere, sich als Publikationslawinen profilierende KollegInnen sitzen selbst am Gerät und produzieren beständig multipel einsetzbare Textblöcke, die dann in der Folge zu einem permanenten Fluss „neuer“ Forschungspapiere kom- biniert werden - die Möglichkeiten moderner Textverarbeitung, die Unübersichtlichkeiten von Forschungslandschaften und der Druck zur Maximierung der Anzahl von Publikationen verführen da zu manchmal fragwürdigen Vorgangsweisen.

Bezogen auf die verwendeten Textverarbeitungssysteme ist zudem ein Clash of Cultures ganz besonderer Art zu beobachten: Einerseits ist in den bereits stark mathematisch formulierten Wissenschaftsbereichen ein Produktionsprozess entstanden, der ohnehin zunächst vom Einsatz des Computers als Rechner ausgeht und daher die Versatilität des Autors im Umgang mit dem Gerät rasch zu einer Wahl von Textverarbeitungslösungen mit bestimmten Vorzügen in der Darstellung mathematischer Ausdrücke - auch wenn das ein wenig umständlich ist - führt. Kurz gesagt, die Wahl dieser Wissenschaftskultur fällt auf TeX. Andererseits existiert eine weniger penible, oft auch computerfernere WissenschaftlerInnengemeinde, der das Wald- und Wiesenprogramm MS-Word als Montageinstrument vollauf genügt. Zudem kann Word mit dem Add-on MathType auch noch ein wenig mathematische Notation aufgedrängt werden, wenn es denn sein muss.

Zwischen diesen beiden Kulturen versucht sich nun bereits seit einiger Zeit eine dritte Art von Software zu positionieren: Scientific WorkPlace ist dadurch gekennzeichnet, dass es sowohl mittels Maple rechnen kann, als auch (in derselben Anwendung) eine gewöhnliche Textverarbeitung inklusive dynamisch erzeugter Grafiken möglich ist. Diese Integration von Rechnen und in Forschungspapiere Verarbeiten dürfte insbesondere für jene Forscher interessant sein, die ihren Forschungsprozess ohnehin selbst - vom grundlegenden mathematisierten Gedanken bis zur Paperproduktion - selbst in die Hand nehmen. Und diese Gruppe scheint mir in den letzten Jahren stetig zu wachsen. Der Einsatz von Produkten wie Scientific WorkPlace sollte demgemäß künftig stark zunehmen. Schwachstellen, auf deren Beseitigung sich die Produzenten solcher Software hoffentlich konzentrieren werden, bestehen natürlich vor allem im Bereich der Kompatibilität mit anderer Software: Wie bekomme ich Texte, Formeln und Grafiken von einer Umgebung in die andere, ohne Formatierungsmerkmale zu verlieren. Nach wie vor vermischen sich hier die Bemühungen einzelner Hersteller um gewinnmaximierende Inkompatibilität auf benutzerfeindliche Weise mit tatsächlichen Inkompatibilitäten der logischen Herangehensweisen der Programmstrukturen. Es gibt diesbezüglich zwar überall langsame Fortschritte - siehe PDF Format - doch bleiben nach wie vor viele Wege verschlossen.

Der Grund, warum immer noch recht wenig Gebrauch von Software wie Scientific WorkPlace zu verzeichnen ist, dürfte meines Ermessens jedoch nicht so sehr an solchen Schwachstellen liegen. Es ist vielmehr einerseits die nicht unberechtigte prinzipielle Angst davor, dass die Handhabung eines neuen Paketes viel Zeitaufwand bedeutet - was in diesem Fall allerdings eher unberechtigt ist. Andererseits spielt schlicht und einfach auch oft die Unkenntnis der Existenz solcher Lösungen die größte Rolle - und dagegen kann etwas getan werden: Einfach ausprobieren !



topSeitenanfang | ZIDline 8 - Juni 2003 | ZID | TU Wien